Antarktika - Tribut

Weiß in meinen Augen

oh Seele
schreibe dein Leben in diesen unbekannten Grund
verwirbele im Wasser
dessen Tiefe verborgen ihrer Entdeckung entgegen dauert

hier
wo ewiges Eis
im Strom der Zeit bewegt
vor mir flieht
zerbricht
in wärmere Gewässer driftet
den Ozean füllt
der Welt Frische bringt
ohne zu verlangen

hier
atme ich die Stille
das klare Weiß
diese Weite ohne Wechsel
ohne Gnade
raue Natur
Geschenk eines gütigen Gottes

kein Rauschen von Blättern
kein grüner Halm
nur knirschende Spannung
die sich ohne Gefahr in Rissen entlädt
stürmische Winde
Schneestürme
die meine Sicht behindern
und ewig helle Nacht ohne Schatten
unter einer trügenden Sonne
voll entladener Kraft
gefroren
bis zum Horizont

Wasser auf meinem Körper

ich tauche ab
in fremde Welt voller Rätsel
voller Geheimnisse
die nur wenige Augen bestaunten

meine Augen folgen den Luftblasen hinauf zum Eis
folgen Kreaturen dieser kalten Tiefe
Kreaturen wie aus einer anderen Welt
mit Fangarmen
in die sich die Beute immer mehr verstrickt
wenn sie sich befreien will

ich folge Würmern roter Farbe
die parasitär existieren
und wurmähnlichen Kreaturen
mit klaffenden Mäulern
ohne Namen

all diese Eigenarten
würden diesen Platz zur Hölle machen
wären die Wesen größer als der Mensch

wären sie größer
wäre dies die Erklärung
für die Flucht
des Säugetiers aus dem Wasser

friedlich daneben
höre ich den Gesang der Robben
unter dem Eis

ihr Gesang zieht mich in den Bann
ich tauche tiefer
in diese Kathedrale
in diese Schöpfung
diese gewalttätige Umwelt
diese friedliche Stille
in der ich das Fremde bin

Beben unter meinen Füßen

im Eis
Kilometer hinter den letzten Menschen
am Kraterrand verharrend
Magma spürend
Schwefel riechend
finde ich den Frieden in Explosionen
dem Geräusch sich verändernder Erde

ich betrete Kamine
die aus entwichenem Gas geformt
sich in die Höhe schrauben
sich aufrichten
Stockwerke hoch
gefüllt mit Gas
oder klarer Luft
Abstieg und Entdeckung ermöglichend

blaues Eis
bizarre Kaverne
Skulpturen die niemand formte
weite unentdeckte Höhle
still
unheimlich
faszinierend
ohne Leben

nur mein Atem dringt ins Eis
bezeugt meine Anwesenheit für ewig
festgehalten
wie ich diese Welt mit meinem Verstand festhalte

Schmerz in meiner Brust

Antarktika
trostloses Willkommen
der Vorstellung eines Lebens auf dem Mond
ähnlich erscheinend
absurd und irrreal
voller Menschen mit der Welt entfernten Ansichten
freie Geister
Idealisten
Reisende
professionelle Träumer im ewigen Eis
in klimatisierten Häusern
mit dröhnenden Maschinen
Kegelbahnen
und Yogakursen

eine Basis für all die
die im Eis nicht erfrieren
Angelpunkt einer fremden Welt
Stätte der Begegnung
am Ende der Welt
wo Urbanität sich neu einnistet
und verändert was bisher unverändert blieb

wir sind die Menschheit
zum Aussterben verdammt
die nächsten Dinosaurier
wir sind geisteskranke Pinguine
die dem sicheren Tod geweiht
zum geografischen Südpol rennen
dort wo wir eingegraben im Eis
bei minus siebzig Grad
unser Andenken hinterlassen
wo wir Zeugnis ablegen
von unserer zerstörenden Existenz
die irgendwann durch Forscher entdeckt wird
die noch unbekannter sind als diese weiße Perle
diese Reinheit der Natur

Abschied

zum Abschied stehe ich
am Heck des Schiffes
nehme Kurs
mit abgebrochenen Eisbergen zurück
grüße ein letztes Mal
die weißen Klippen
und ihre im Wasser verborgenen Ausläufer

ein Teil von mir
bleibt dort gefangen
kreiert einen Traum
eine Sucht
die mich nicht mehr loslässt
bis sie zerstört
nur noch meine Erinnerung nachhaltig bevölkert

 

 

 

(inspiriert durch den Dokumentarfilm "Begegnungen am Ende der Welt" von Werner Herzog)